Sylvia Day
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Passion for the Game - German
Aug 11, 2014  •  Heyne Verlag  •  9783453545687

German Excerpt

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1. Kapitel

»Wenn alle Todesengel so hinreißend wären wie du, würden die Männer bei dir zum Sterben Schlange stehen.«

Lady Maria Winter ließ den Deckel ihres emaillierten Döschens mit den Schönheitspflästerchen entschieden zuschnappen. Der Mann, den sie im Spiegel gesehen hatte, war ihr so zuwider, dass sich ihr Magen krampfte. Sie holte tief luft und hielt den Blick auf die Bühne gerichtet, doch ihre aufmerksamkeit galt ganz dem unvergleichlich gut aussehenden Schönling, der etwas hinten versteckt in ihrer loge saß.

»Du kommst auch noch an die Reihe«, murmelte sie, bewahrte aber wegen der vielen in ihre Richtung gewandten lorgnetten Haltung. an diesem abend hatte sie sich für purpurrote Seide entschieden, die durch die zarte schwarze Spitze an ihren ellbogenlangen Ärmeln noch betont wurde. Purpur war ihre lieblingsfarbe, nicht nur weil es den Farben ihrer spanischen Herkunft schmeichelte – dunkle Haare, dunkle augen, olivfarbener Teint –, sondern auch, weil es eine stille Warnung war. Blutvergießen. Gefahr.

Die Winterwitwe, tuschelten die Zuschauer. Zwei Männer hatte sie ins Grab gebracht ... bislang.

Sie war ein Todesengel. Das war nur allzu wahr. alle um sie herum starben, außer dem Mann, dessen Tod sie ersehnte.

Als sie ein leises lachen hinter sich hörte, bekam sie eine Gänsehaut. »Da muss schon jemand anderer kommen, meine liebe Stieftochter, um mir meinen gerechten lohn zu überbringen.«

»Dein lohn wird meine Klinge in deinem Herzen sein«, zischte sie.

»Ja, aber dann wirst du deine Schwester niemals wiedersehen, dabei ist sie fast mündig.«

»Wage es nicht, mir zu drohen, Welton. Sobald amelia verheiratet ist, weiß ich, wo sie ist, und dann brauche ich dich nicht mehr lebendig. Denk daran, bevor du in versuchung gerätst, ihr das Gleiche anzutun wie mir.«

»Ich könnte sie als Sklavin verkaufen«, sagte er gedehnt.

»Du irrst dich, wenn du meinst, daran hätte ich nicht schon gedacht.« Sie bauschte die Spitze an ihrem Ellbogen und brachte ein leichtes lächeln zustande, das ihr Entsetzen verbarg. »ich würde davon erfahren. Und dann wärst du tot.«

als sie spürte, wie er erstarrte, wurde ihr lächeln echt. Sechzehn war sie gewesen, als Welton ihr leben beendete. Nur die vorfreude auf den Tag ihrer vergeltung half ihr, nicht aufzugeben, wenn die verzweiflung wegen ihrer Schwester sie zu entmutigen drohte.

»St. John.«

Der Name hing zwischen ihnen in der luft.

Maria stockte der atem. »Christopher St. John?«

Es überraschte sie nur noch selten etwas. Mit sechsundzwanzig glaubte sie, fast alles gesehen und fast alles getan zu haben. »Er hat zwar Geld, doch eine Ehe mit ihm würde mich ruinieren, und du könntest mich nicht mehr für deine Ziele benutzen.«

»Eine Ehe ist diesmal nicht notwendig. ich habe lord Winters vermächtnis noch nicht aufgebraucht. Hier geht es lediglich um informationen. ich glaube, man will St. John einen Tauschhandel vorschlagen. ich möchte, dass du herausfindest, was sie mit ihm vorhaben, und vor allem, wer seine Freilassung aus dem Gefängnis arrangiert hat.«

Maria strich sich über den purpurroten Stoff, der sich um ihre Beine bauschte. ihre unglücklichen Ehemänner waren beide agenten der Krone gewesen, was sie für ihren Stiefvater höchst nützlich machten. außerdem waren sie adlige und Besitzer eines großen vermögens gewesen, das sie nach ihrem frühzeitigen ableben ihr hinterlassen hatten – zu Weltons verfügung.

Maria hob den Kopf, blickte sich im Theater um und bemerkte gedankenverloren den sich kräuselnden Rauch der Kerzen und die Goldverzierungen, die im licht schimmerten. Der Sopran auf der Bühne kämpfte um aufmerksamkeit, denn niemand war gekommen, um die Sängerin zu hören. Der adel kam nur, um zu sehen und gesehen zu werden.

»Interessant«, murmelte Maria, weil ihr ein Bild des beliebten Freibeuters in den Sinn kam. Er war ungewöhnlich attraktiv und genauso tödlich wie sie. Seine Heldentaten waren allgemein bekannt, einige davon jedoch so haarsträubend, dass sie kaum wahr sein konnten. St. John war Gegenstand überaus leidenschaftlicher Diskussionen, und es wurden zahlreiche Wetten darauf abgeschlossen, wie lange er noch seinen Kopf aus der Schlinge ziehen konnte.

»Es muss tatsächlich ein verzweifelter Schritt gewesen sein, ihn zu verschonen. all die Jahre hat man nach einem unwiderlegbaren Beweis für seine verbrechen gesucht, und nun, da es so weit ist, wird er begnadigt. ich wage zu behaupten, dass darüber niemand erfreut ist.«

»Ist mir egal, wie man das findet«, erwiderte Welton knapp. »ich will nur wissen, wen ich deswegen erpressen kann.«

»So viel vertrauen hast du also in meine Fähigkeiten«, spöttelte sie und verbarg damit, dass ihr die Galle hochkam. Wenn sie daran dachte, was sie alles hatte tun müssen, um einen Mann zu schützen und zu unterstützen, den sie verabscheute ... Doch dann hob sie ihr Kinn. Nicht ihrem Stiefvater galten ihr Schutz und ihre Unterstützung. Er musste lediglich am leben bleiben, denn wenn er umkam, würde sie amelia niemals wiederfinden.

Welton ignorierte ihren Spott. »Hast du eine ahnung, wie viel diese information wert wäre?«

Sie nickte fast unmerklich, weil sie sich der gierigen Blicke bewusst war, die jeder ihrer Bewegungen folgten. Die ganze Gesellschaft wusste, dass ihre Ehemänner keines natürlichen Todes gestorben waren. aber es gab keine Beweise. Obwohl man von ihrer Schuld überzeugt war, wurde sie mit morbidem interesse in die vornehmsten Häuser eingeladen. Sie war berüchtigt. Und nichts belebte eine Gesellschaft so wie der Ruch von Gefahr.

»Wie finde ich ihn?«

»Du hast doch deine Mittel.« Er stand auf und ragte drohend im Schatten über ihr, doch Maria duckte sich nicht. abgesehen von amelias Schicksal machte ihr nichts mehr angst.

Weltons Finger zupften an einer ihrer locken. »Das Haar deiner Schwester ist deinem so ähnlich. Selbst durch den Puder glänzt es noch.«

»Verschwinde.«

Sein lachen hallte noch nach, als er die vorhänge geteilt hatte und hinaus auf den Gang getreten war. Wie viele Jahre würde sie dieses lachen noch erdulden müssen? Die Ermittler, die für sie arbeiteten, lieferten ihr kaum einen wertvollen Hinweis. Hier und da hieß es, ihre Schwester sei gesehen worden, doch nie war es eine heiße Spur. So oft meinte sie schon, ihr Ziel erreicht zu haben ... aber Welton war ihr immer einen Schritt voraus.

Während auf sein Geheiß ihre Seele mit jedem Tag schwärzer wurde.

»Lassen Sie sich nicht von ihrem Erscheinungsbild täuschen. Ja, sie wirkt klein und zierlich, doch sie ist eine Giftschlange, die nur darauf wartet zuzubeißen.«

Christopher St. John setzte sich bequemer in seinen Sessel und missachtete den agenten der Krone, der die loge mit ihm teilte. Sein Blick war magnetisch angezogen von der purpurrot gekleideten Frau, die auf der gegenüberliegenden Seite des Theaters saß. Da er sein ganzes leben in der niedrigen Gesellschaft verbracht hatte, erkannte er eine verwandte Seele schon von Weitem.

Lady Winter trug zwar ein Kleid, das die Wärme und Heißblütigkeit spanischer Sirenen versprach, doch sie war so frostig wie ihr Name. Und sein »auftrag« war es, sich in ihr leben zu schleichen, sie für ihn zu erwärmen und dann genug über sie zu erfahren, um sie an seiner statt hängen zu lassen.

Das war ein abscheulicher Handel. aber seiner Einschätzung nach nur fair. Er war ein Freibeuter und Dieb und sie eine geldgierige und blutdurstige Harpyie.

»Es arbeiten mindestens ein Dutzend Männer für sie«, erklärte viscount Sedgewick. »Manche beobachten die Kais, andere streifen durchs land. ihr interesse an der agency ist eindeutig und gefährlich. Sie steht ihnen in nichts nach, wenn es darum geht, Chaos zu schaffen. Daher wird sie zu einem angebot ihrerseits gewiss nicht Nein sagen.«

Christopher seufzte; die aussicht, das Bett mit der schönen Winterwitwe zu teilen, lockte ihn nicht im Geringsten. Er kannte Frauen wie sie: Sie waren viel zu sehr um ihr aussehen besorgt, um zügellose leidenschaft zu genießen. ihr lebensunterhalt hing davon ab, reiche verehrer anzuziehen. Daher konnte sie nicht daran interessiert sein, ins Schwitzen zu geraten oder sich übermäßig anzustrengen. Schließlich konnte dabei ihre Frisur ruiniert werden.

Gähnend fragte er: »Kann ich jetzt gehen, Mylord?«

Sedgewick schüttelte den Kopf. »Sie müssen sofort anfangen, sonst ist die Chance vertan.«

Nur mit großer Mühe konnte sich Christopher eine Erwiderung verkneifen. Die agency würde sehr schnell bemerken, dass er nach niemandes Pfeife tanzte. »Überlassen Sie die Einzelheiten mir. Sie möchten, dass ich sowohl geschäftliche als auch persönliche Beziehungen mit lady Winter pflege, und das werde ich auch.«

Damit stand er auf und richtete beiläufig seinen Rock. »Wie auch immer: Sie ist eine Frau, die finanzielle Sicherheit über eine Ehe zu gewinnen sucht, daher kann ich als Junggeselle nicht zuerst um sie freien und dann weitermachen, wenn ich sie erst im Bett habe. Stattdessen werde ich mit dem Geschäftlichen beginnen müssen, um unsere Beziehung mit Beischlaf zu besiegeln. So macht man das.«

»Sie sind erschreckend«, sagte Sedgewick trocken.

Christopher warf einen Blick über seine Schulter, als er den schwarzen vorhang zur Seite schob. »Es wäre klug von ihnen, das nicht zu vergessen.«

Maria war angespannt und nervös, weil sie ein Gefühl überkam, als würde ein Raubtier sie taxieren. Sie wandte den Kopf hin und her und betrachtete forschend jede loge ihr gegenüber, konnte jedoch nichts entdecken. Dennoch hatte sie nur ihren instinkten zu verdanken, dass sie noch am leben war, und sie vertraute ihnen blind.

Irgendjemandes interesse war mehr als nur Neugier.

Leise Männerstimmen im Gang hinter ihr zogen ihre aufmerksamkeit von ihrer erfolglosen Suche ab. andere hätten nur das Gemurmel im Zuschauerraum unter ihr und den tragenden Gesang auf der Bühne gehört, aber sie war eine Jägerin mit geschärften Sinnen.

»Die loge der Winterwitwe.«

»Ah ...«, murmelte ein Mann mit wissender Stimme. »Sie ist das Risiko für ein paar Stunden wert. Sie ist unvergleichlich, eine Göttin unter Frauen.«

Maria schnaubte. Das war ihr Fluch.

Die unschuldige Freude, die sie einst über ihre außerordentliche Schönheit empfunden hatte, war an dem Tag verpufft, als ihr Stiefvater sie lüstern ansah und sagte: »Du wirst mir ein vermögen einbringen, Kleines.«

Das war ein weiterer innerer Tod in ihrem kurzen leben gewesen.

Der erste war der ihres geliebten vaters gewesen. Sie hatte ihn als lebenslustigen, vitalen, schneidigen Mann in Erinnerung, der oft lachte und ihre spanische Mutter anbetete. Dann wurde er krank und siechte dahin. Später sollte Maria mit den anzeichen einer vergiftung vertraut werden. Damals aber kannte sie nur angst und verwirrung, die noch zunahmen, als ihre Mutter ihr einen dunkelhaarigen, gut aussehenden Mann vorstellte, der ihren vater ersetzen sollte.

»Maria, mein Kind«, hatte Cecille mit ihrem leichten akzent gesagt, »dies ist viscount Welton. Wir wollen heiraten.«

Diesen Namen hatte sie schon einmal gehört. Der Mann war der beste Freund ihres vaters gewesen. Warum ihre Mutter wieder heiraten wollte, konnte sie sich in ihrer Unerfahrenheit nicht vorstellen. Hatte ihr vater ihr so wenig bedeutet?

»Er möchte dich auf die besten Schulen schicken«, lautete die Erklärung. »Du wirst die Zukunft bekommen, die dein vater sich für dich gewünscht hat.«

Man würde sie wegschicken. Mehr hörte sie nicht.

Die Hochzeit fand statt, und lord Welton nahm sie mit in ein Haus, das einer mittelalterlichen Burg ähnelte. Maria hasste es. Es war kalt, zugig und unheimlich und erinnerte in nichts an das schöne Zuhause, in dem sie bislang gewohnt hatte.

Welton zeugte mit seiner neuen Frau eine Tochter und verschwand kurz danach. Maria wurde auf das internat geschickt, und er ging nach london, wo er nach Herzenslust soff, herumhurte und das Geld ihres vaters verspielte. ihre Mutter wurde immer blasser und dünner, und dann fiel ihr das Haar aus. ihre Krankheit wurde bis zum letzten Moment vor Maria geheim gehalten.

Erst als das Ende nahe war, wurde nach ihr geschickt. als sie ins Haus ihres Stiefvaters zurückkehrte, war die viscountess Welton nur noch ein Schatten der Frau, die sie noch ein paar Monate zuvor gewesen war. ihre lebendigkeit war ebenso entschwunden wie das vermögen ihres Mannes.

»Maria, mein Schatz«, flüsterte sie auf dem Totenbett und sah sie mit ihren dunklen augen flehentlich an, »vergib mir. Welton war nach dem Tod deines vaters so liebenswürdig. ich habe nicht hinter seine Fassade gesehen.«

»Es wird alles wieder gut, Mama«, hatte sie gelogen. »Du wirst wieder gesund werden, und dann verlassen wir ihn.«

»Nein. Du musst ...«

»Bitte sag nichts mehr. Du brauchst Ruhe.«

Aber der Griff ihrer Mutter war ungewöhnlich fest für eine so

Geschwächte Frau und verriet, wie dringend ihr anliegen war. »Du musst deine Schwester vor ihm beschützen. Es ist ihm ganz gleich, dass sie sein eigen Fleisch und Blut ist. Er wird sie genauso benutzen, wie er mich benutzt hat. Und auch dich wird er benutzen wollen. amelia ist nicht so stark wie du. Sie hat nichts von der Stärke deines vaters.«

Bestürzt hatte sie ihre Mutter angestarrt. in den zehn Jahren, in denen Cecille zum zweiten Mal verheiratet war, hatte Maria vieles gelernt, doch vor allem, dass sich unter lord Weltons unvergleichlich attraktivem Äußeren der Teufel verbarg.

»Ich bin noch zu jung«, hauchte sie unter Tränen. Sie hatte einen Großteil ihres lebens im internat verbracht und war dazu ausgebildet worden, eine Frau zu werden, die Welton ausbeuten konnte. aber bei ihren gelegentlichen Besuchen hatte sie beobachtet, wie der viscount ihre Mutter mit gehässigen Spötteleien gedemütigt hatte. Die Dienerschaft hatte ihr von Gebrüll und Schmerzensschreien berichtet. von verletzungen. Blut. Wochenlanger Bettruhe nach seiner abreise.

Die siebenjährige amelia blieb ängstlich und allein in ihrem Zimmer, wenn ihr vater da war. Keine Gouvernante hielt es lange bei ihnen aus.

»Ja, das bist du«, flüsterte Cecille mit bleichen lippen und rot geweinten augen. »Wenn ich gehe, hinterlasse ich dir all meine Stärke. Du wirst mich in dir spüren, meine süße Maria, und deinen vater. Wir werden dir helfen.«

Diese Worte waren das Einzige, woran sie sich in den folgenden Jahren klammern konnte.

»Ist sie tot?«, hatte Welton nur gefragt, als Maria aus ihrem Zimmer kam. Seine grünen augen waren bar jeden Gefühls gewesen.

»Ja.« Sie wartete mit angehaltenem atem und zitternden Händen.

»Dann entscheide du über die arrangements.«

Nickend wandte sie sich ab. Das Schleifen ihrer Röcke aus schwerer Seide war unnatürlich laut in der tödlichen Stille des Hauses.

»Maria.« Seine Stimme klang bedrohlich sanft.

Sie blieb stehen, wandte sich wieder um und betrachtete ihren Stiefvater im neu gewonnenen Wissen über das ausmaß seiner Bösartigkeit. abwesend bemerkte sie die breiten Schultern, die schmalen Hüften und die langen Beine, die so viele Frauen unwiderstehlich fanden. Trotz seiner Gefühlskälte war er mit seinen grünen augen, den dunklen Haaren und dem verwegenen lächeln einer der attraktivsten Männer, die sie je gesehen hatte. Das war das Geschenk des Teufels für seine pechschwarze Seele.

»Erzähl du amelia von Cecilles Tod, ja? ich bin schon spät dran und habe keine Zeit mehr.«

Amelia.

Verzweifelt dachte Maria an die vor ihr liegende aufgabe. Zusätzlich zu dem lähmenden Schmerz über den verlust ihrer Mutter drückte sie der auftrag ihres Stiefvaters fast zu Boden. aber die Stärke, die ihre Mutter ihr versprochen hatte, bewirkte, dass sie sich aufrichtete und ihr Kinn hob.

Welton lachte, als er das sah. »ich wusste, du würdest perfekt sein. Das macht den Ärger mit deiner Mutter wett.« Sie sah, wie er auf dem absatz kehrtmachte, die Treppe zum Hauptgang hinunterging und seine Frau einfach von sich abschüttelte.

Wie konnte sie ihrer Schwester den Schicksalsschlag so schonend wie möglich beibringen? im Gegensatz zu Maria hatte amelia keine glücklichen Erinnerungen, an denen sie sich festhalten konnte. Jetzt war die Kleine eine Waise, denn ihr vater schenkte ihr so wenig aufmerksamkeit, dass er auch hätte tot sein können.

»Hallo, Schätzchen«, sagte Maria leise, als sie das Zimmer ihrer Schwester betrat und sich auf den aufprall des kleinen Körpers, der ihr entgegenstürzte, gefasst machte.

»Maria!«

Es war überflüssig zu erwähnen, dass ihre Mutter soeben verstorben war. Maria drückte ihre Schwester an sich und ging mit ihr zu dem in dunkelblauer Seide gehaltenen Bett, das einen schönen Kontrast zu den mit hellblauem Damast bezogenen Wänden bildete. Sie wiegte das weinende Kind in ihren armen und vergoss ein paar stille Tränen. Nun hatten sie nur noch einander.

»Was machen wir jetzt?«, fragte amelia mit ihrer lieblichen Stimme.

»Überleben«, antwortete Maria knapp. »Und zusammenbleiben. ich werde dich beschützen. Zweifle niemals daran.«

Sie schliefen ein. als sie aufwachte, war amelia verschwunden. Und ihr leben hatte sich für immer verändert.

Nun drängte es Maria plötzlich, sich in Bewegung zu setzen. Sie stand auf, schob den vorhang beiseite und trat auf den Gang hinaus. Die beiden lakaien, die zu beiden Seiten der loge Wache standen, um übereifrige verehrer abzuwehren, nahmen Habachtstellung ein. »Das ist meine Kutsche«, sagte sie zu einem. Er eilte davon.

Auf einmal jedoch stieß sie jemand ziemlich heftig von hinten an, und als sie taumelte, wurde sie an einen harten Körper gedrückt.

»Bitte vielmals um verzeihung«, murmelte eine aufregend heisere Stimme so dicht an ihrem Ohr, dass sie die Schwingung spürte.

Diese Stimme brachte sie dazu zu erstarren und den atem anzuhalten. Reglos stand sie da und spürte, wie all ihre Sinne ungewöhnlich intensiv zum leben erwachten. Eindrücke stürmten auf sie ein – eine harte Brust an ihrem Rücken, ein fester arm, der um ihre Brust geschlungen war, eine Hand an ihrer Taille und ein durchdringender Geruch nach Bergamotte, vermischt mit herbem Männerduft. Er ließ sie nicht los, im Gegenteil: Sein Griff wurde noch fester.

»Lassen Sie mich los«, sagte sie leise, aber herrisch.

»Wenn ich so weit bin.«

Seine nackte Hand legte sich auf ihre Kehle. Die Rubine an ihrer Halskette wurden so warm, bis sie fast brannten. Schwielige Fingerspitzen streichelten ihre Halsschlagader, bis sich ihr Puls beschleunigte. Dies alles tat der Mann so selbstbewusst und ohne jegliches Zaudern, als hätte er das Recht, sie zu liebkosen, wann und wo auch immer er es wollte, selbst in der Öffentlichkeit. Und doch war er unleugbar sanft. Trotz seines festen Griffs konnte sie sich ihm entwinden, wenn sie das wollte, aber sie regte sich nicht, weil ihre Gliedmaßen sich plötzlich schlaff anfühlten.

Mit ihrem Blick befahl sie dem anderen lakaien, ihr irgendwie zu Hilfe zu eilen. Der Diener sah allerdings mit weit aufgerissenen augen hinter sie und schluckte hart. Dann schaute er weg.

Sie seufzte. Offenbar würde sie sich selbst retten müssen.

Wieder einmal.

Ihre nächste Handlung war halb instinktiv, halb bewusst. Sie legte ihrem angreifer die Hand über seine und ließ ihn die scharfe Spitze der Klinge spüren, die sie in einem eigens dafür angefertigten Ring trug. Der Mann erstarrte, aber gleich darauf lachte er. »ich liebe Überraschungen.«

»Das kann ich von mir nicht behaupten.«

»Haben Sie etwa angst?«, forderte er sie heraus.

»Ja. Davor, dass Blut auf mein Kleid kommt«, gab sie zurück.

»Es ist eines meiner lieblingskleider.«

»Ach, dann würde es aber zum Blut an ihren Händen passen« – er hielt inne und fuhr ihr mit der Zunge über ihre Ohrmuschel, worauf sie hochrot wurde und erschauerte –, »und an meinen.«

»Wer sind Sie?«

»Wer auch immer ihnen nützlich sein könnte.«

Maria holte tief luft und drückte ihren vom Korsett flach ge-

Drückten Busen gegen seinen unnachgiebigen Unterarm. ihr gingen schneller Fragen durch den Kopf, als sie sie erfassen konnte. »ich habe alles, was ich brauche.«

Als er sie losließ, strich er ihr mit den Fingern über die nackte Haut oberhalb ihres Mieders. ihre Haut prickelte, und sie bekam eine Gänsehaut. »Sollten Sie es sich anders überlegen«, sagte er mit seiner kratzigen Stimme, »dann kommen Sie zu mir.«

Er trat zurück, worauf sie mit fliegenden Röcken herumwirbelte und ihn ansah.

Gekonnt verbarg sie ihre verblüffung. Die Bilder in den Zeitungen wurden ihm nicht im Mindesten gerecht. Er hatte blonde locken, eine sonnengebräunte Haut, strahlend blaue augen und die fein gemeißelten Züge eines Engels. Seine lippen waren zwar schmal, doch von Meisterhand erschaffen. Sein antlitz war so atemberaubend schön, dass es sie entwaffnete. Es rief tiefstes vertrauen hervor, aber die berechnende Kälte seines Blicks warnte sie, dass dies ein Fehler war.

Während sie ihn betrachtete, bemerkte sie, dass sie beide die aufmerksamkeit der anderen Zuschauer im Gang weckten, aber sie konnte ihren Blick nicht von ihm abwenden. Sie war wie verzaubert von dem Mann, der so selbstsicher, ja, arrogant vor ihr stand. »St. John.«

Er verneigte sich in aller Form und lächelte, doch das lächeln erreichte nicht seine augen – umwerfende augen, die noch durchdringender durch die Schatten wirkten, die sie umgaben. Er war kein Mann, der viel oder gut schlief. »ich bin geschmeichelt, dass Sie mich erkennen.«

»Was genau sollte mir denn fehlen?«

»vielleicht genau das, wonach ihre Männer suchen?«

Seine Bemerkung erwischte sie kalt, und sie konnte es nicht verbergen. »Was wissen Sie?«

»Zu viel«, antwortete er glatt und sah sie forschend an. Wie gebannt starrte sie auf seine lippen, die sich sinnlich verzogen. »Und doch nicht genug. aber vielleicht können wir gemeinsam unsere Ziele erreichen.«

»Welches ist denn ihr Ziel?«

Wie kam es, dass er sich ihr so kurz nach Weltons verschwinden näherte? Das konnte doch kein Zufall sein.

»Rache«, sagte er, und dieses Wort sprach er so beiläufig aus, dass sie sich fragte, ob er innerlich genauso tot war wie sie. Das musste er, da er ein leben als verbrecher führte. Keine Schuld, keine Reue, kein Gewissen. »Die agency hat sich einmal zu oft in mein leben gemischt.«

»Ich habe keine ahnung, wovon Sie sprechen.«

»Ach, nicht? Sehr schade.« Er trat um sie herum und neigte sich im Gehen zu ihr. »Sollten Sie es herausfinden, stehe ich zu ihrer verfügung.«

Einen Moment lang sperrte sie sich dagegen, sich umzudrehen und ihm nachzublicken. Doch der Moment verging, und dann starrte sie ihm begierig nach. Nichts entging ihr, weder seine Größe noch seine breiten Schultern noch seine elegante Kleidung und die hohen Schuhe. So wie er angezogen war, konnte er nicht unerkannt in der Menge verschwinden, die sich auf dem Gang tummelte. Das helle Gelb seines Rocks und seiner Hose hoben sich von den dunkleren Farben der anderen Theaterbesucher ab. in ihren augen wirkte er wie ein Sonnengott, eine leuchtende, übermächtige Präsenz. Sein lässiger Gang verbarg nicht die Gefahr, die er ausstrahlte – eine Tatsache, die auch den rasch ausweichenden Besuchern nicht entgangen war.

Jetzt begriff sie, warum alle so fasziniert von ihm waren.

Schließlich wandte sich Maria zum lakaien. »Kommen Sie mit.«

»Mylady«, rief dieser flehentlich, worauf sie innehielt, »bitte verzeihen Sie mir.« Der junge Mann sah aus, als sei ihm sterbenselend. Seine dunklen Haare fielen ihm in das noch sehr unreife Gesicht. Ohne seine livree hätte man sofort gesehen, dass er im Grunde noch ein Junge war.

»Was soll ich ihnen denn verzeihen?«, fragte sie mit hochgezogenen augenbrauen.

»Dass ich ihnen nicht geholfen habe.«

Sie gab etwas von ihrer stolzen Haltung auf. als sie die Hand ausstreckte und ihn am Ellbogen berührte, schrak er zusammen. »ich bin nicht wütend auf Sie. Sie hatten angst, was ich gut nachvollziehen kann.«

»Wirklich?«

Sie seufzte und drückte sanft seinen Ellbogen, bevor sie ihn losließ. »Wirklich.«

Es zerriss ihr das Herz, als er sie dankbar anlächelte. War sie je so ... offen gewesen? Manchmal fühlte sie sich vollkommen von der Welt abgeschnitten.

Rache. Mehr als dieses Ziel hatte sie nicht. Rache war es, woran sie beim aufwachen dachte und wenn sie abends im Bett lag. Das Bedürfnis nach vergeltung war die Kraft, die ihr das Blut durch die adern pumpte und ihre lunge mit luft füllte.

Und Christopher St. John konnte derjenige sein, durch den sie sie erlangen konnte.

Noch kurz zuvor war er ein notwendiges Übel gewesen, das sie so schnell wie möglich hinter sich hatte bringen wollen. Doch jetzt waren die Möglichkeiten mehr als reine intrigen; sie waren verführerisch. Es würde sorgfältiger Planung bedürfen, um ihre perfiden ideen in die Tat umzusetzen, aber zweifellos konnte sie das schaffen.

Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit lächelte sie.

Christopher entfernte sich leise pfeifend von lady Winter, spürte aber ihren bohrenden Blick. Eigentlich hatte er nicht geplant, mit ihr zu sprechen. Er hatte lediglich gehofft, sie von Nahem zu sehen und herauszufinden, wie gut sie sich schützte. Es war ein wunderbarer Zufall gewesen, dass sie just in diesem Moment ihre loge verlassen hatte. Sie hatten sich nicht nur kennengelernt, sondern er hatte sie sogar berührt, sie im arm gehalten und den Duft ihrer Haut gerochen.

Jetzt befürchtete er nicht mehr, es würde im Bett langweilig mit ihr werden – nicht, nachdem er die Spitze der verborgenen Klinge gespürt hatte. Doch darüber hinaus war mehr als nur sein körperliches interesse geweckt. Sie war jünger als angenommen, die Haut unter Puder und Schönheitspflästerchen war faltenlos, und ihre schönen dunklen augen verrieten sowohl vorsicht als auch Neugier. lady Winter war noch nicht vollkommen abgestumpft. Wie war das möglich, wenn alle Welt dachte, sie hätte mindestens zwei Männer umgebracht?

Das würde er herausfinden. Die agency war an ihr mehr interessiert als an ihm. Das allein war schon höchst faszinierend.

Als Christopher das Theater verließ, fiel ihm die schwarze Kutsche mit dem Wappen der Winters auf. Er blieb neben ihr stehen. Dann machte er eine kaum merkliche Handbewegung und vergewisserte sich, dass sein Befehl zumindest von einem seiner in der Umgebung postierten Männer gesehen worden war. Die Kutsche würde bis auf Weiteres beschattet werden. Er wollte wissen, wohin die schöne lady ging.

»Dieses Wochenende bin ich bei der Gesellschaft im landhaus der Harwicks«, sagte er zu dem Kutscher, der ihn stocksteif und mit aufgerissenen augen anstarrte. »Sorgen Sie dafür, dass die lady das erfährt.«

Als der Mann eifrig nickte, lächelte Christopher zufrieden.

Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit hatte er etwas, worauf er sich freuen konnte.

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